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  • AutorenbildLynn Josefine

Vom Mut nichts zu tun

Die ersten zwei Wochen Ausgangssperre sind rum und ich muss sagen, ich

fands eigentich gar nicht so schlimm: Kein Überangebot an

Möglichkeiten, keine Entscheidungsdilemma (Bier mit der Freundin oder

doch zum Konzert?), viel Sport an der frischen Luft und Telefonate mit

lieben Menschen. Dazu der erwachende Frühling, ein mutgebendes

solidarisches Miteinander, sinkende CO2 Emissionen und Stimmverluste

für die AFD... Eigentlich alles ganz schön. Fast schon friedlich.

Mich im Gras räkelnd, wirken die Nachrichten von überlasteten

Krankenhäusern, ausgelaugten Eltern, einsamen Alten und überfüllten

Lagern seltsam surreal. Eine andere Realität. Die "Welt da draußen" -

sie scheint nicht mehr viel mit mir zu tun zu haben.


Aber irgendwie... Irgendwas war doch auch komisch. Ich kann es nicht

ganz greifen, aber ich spüre es: der Frieden ist trügerisch. Ich finde

sie fast ein bisschen gespenstisch; wie die Ruhe vor einem Sturm?

Während ich unter den Kirschblüten in unserem Garten sitze und

versuche die Sonne und das Vogelgezwitscher zu genießen, wippt mein

Fuß unruhig auf und ab.


„Was tu ich hier?"

„Was tun wir hier?"

All diese Milliarden, all die Maßnahmen und Entbehrungen um ein System

aufrecht zu erhalten, was uns erst in diese Situation gebracht hat?

Den Klimawandel gibt es schließlich immer noch. Sexismus gibt es immer

noch. Rassismus. Klassismus. Globale Ungerechtigkeit....

Und das moralisch richtigste, was ich gerade tun kann ist to


Während ich mich da hineinsteigere, mein Fuß immer energischer wippt,

meine Finger immer fester in die Tasten hauen und ich immer

verzweifelter überlege, wie ich trotz Corona die Welt retten kann,

schallt das Gekicher eines der Nachbarskinder zu mir in den Garten. Ich

schaue auf. Mein Fuß verharrt in der Luft. Meine Gedanke bleiben kurz

stehen. Und ein neuer Gedanke drängt sich auf:


So viel ich auch tippe und wippe, mein schlechtes Gewissen fröne und

mich für meine Privilegie schäme...

Ich weiß es einfach nicht.

Jetzt. In diesem Moment. Weiß ich nicht, was ich tun kann.

Und selbst wenn ich's wüsste, dürfte ich es wahrscheinlich nicht tun.

Ich weiß nicht, was ich, was wir, tun müssten. Was es sich zu tun

lohnt. Was WIRKLICH eine Veränderung hervor bringt. Was zu der große

Revolution führt, nach der ich mich so sehne.

Und wenn ich ehrlich mit mir bin, wusste ich das auch schon vor Corona

nicht. Auch als ich noch das Haus verlassen durfte, Workshops und Yoga

Stunden geben konnte, mich vernetzen konnte, wann und wo ich wollte,

wusste ich nicht, was genau ich tun muss, damit das gute Leben für alle

gelebte Realität wird.

Und mir scheint, so richtig wusste das bisher noch niemensch. DIE

Antwort, DEN Plan. Es gibt ihn nicht.


Während die Sonne langsam ihren Zenit überschreitet, frage ich mich,

ob diese Corona Ruhe vielleicht tatsächlich die Stille vor dem Sturm

ist. Ob diese Zeit, in der für viele von uns alles still zu stehen

scheint, die Zeit sein soll, in der wir selber still werden müssen.

Richtig still. Unangenehm still. So still, wie wir bis jetzt vielleicht

noch nicht sein mussten.

Weil, wer weiß, vielleicht war da ja die ganze Zeit eine

Handlungsoption, ein Plan, eine Idee, die wir bisher nicht bemerkt haben

- nicht gehört haben - weil wir alle zu viel Lärm damit gemacht

irgendwas tun zu wollen, ohne zu wissen, was.


Mein Fuß verharrt immer noch zwischen auf- und abgewippt und während

meine Waden langsam zu krampfen beginnen, kommt mir der nächste

Gedanke:


Ich glaube unsere größte Herausforderung ist es gerade diese Stille

auszuhalten. Sie vielleicht nicht nur auszuhalten, zu verharren bis es

krampft (endlich, lass ich meinen Fuß auf den Boden sinken...), sondern

uns in diese Stille hinein zu entspannen und uns in sie hinein sinken zu

lassen, wie in ein schwarzes Meer.

(Ja, ich weiß - "schwarzes Meer" klingt auch ein wenig pathetisch in meinen Ohren,

aber so fühlt es sich nun mal an...) Dieses mich ins Nicht-Wissen, in das

Nichts-Tun hineinzugeben, macht mir ähnlich viel Angst, wie mich

rücklings in eine dunklen See zu stürzen, deren Grund ich nicht sehen

kann.

Und doch habe ich das Gefühl, dass das gerade dran ist.

Dass dieser Sprung in die absolute Stille, in die komplette

Ahnungslosigkeit, der erste Schritt in eine wirklich transformierte

Gesellschaft sein könnte.


Vielleicht hab ich unrecht. Vielleicht ist es fatal genau jetzt

nichts-tun zu propagieren. Vielleicht. Und vielleicht ist es auch nicht

so schwarz-weiß - Tun oder Nicht-tun, Stille oder Chaos - vielleicht

geht das Hand in Hand und es geht gerade einfach darum auch die Pause,

auch das Genießen und das Nichts-Tun, zu zulassen.

Auch das weiß ich nicht.


Das einzige was ich weiß, ist dass ich die nächsten Wochen hier in

meinem Garten sein werde und wohl oder übel ganz schön viel im Gras

liegend in den blauen Himmel gucken werde. Solange das so ist, so lange

sich ni



Und wer weiß, vielleicht finden wir ja, wenn wir zusammen tauchen, in

der Stille Erkenntnisse, die zu dem revolutionäre Sturm führen, auf

den so viele von uns warten. ;)


Mit vielen Fragen und viel Dankbarkeit,


Eure Lynn


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