Ich war mal bei einem Forum Theater ("Theater der Unterdrückten" für mehr Infos) mit dem Thema "Frau* sein."
Ich bin damals da hin, weil zwei gute Freundinnen von mir, den Abend organisiert haben und ich sie unterstützen wollte. Ehrlich gesagt dachte ich still für mich "hach ja... "Frau* sein" ... darüber haben wir doch schon 100 mal geredet, da ist wahrscheinlich nichts neues für mich dabei..."
Im Laufe des Abends wurde ich eines besseren belehrt - das Thema bleibt relevant. Und auch heute 2 jahre nachdem ich diesen Text geschrieben habe, ist er leider noch relevant. Deshalb möchte ich ihn mit Euch teilen.
Während die 5 Menschen, die ich als weiblich lese (im weiteren Text nutze ich Begriff "Frauen*") auf der Bühne mal humorvoll, mal beißend, mal übertrieben, mal schüchtern, ihre Lebensrealitäten auf die Bühne brachten, lief mir eine Gänsehaut nach der anderen über meine Arme.
"scheiße. scheiße, scheiße, scheiße. Wie kann das sein?" schoss es mir immer wieder durch den Kopf.
Viele Themen würden angesprochen (vom ekligem Hinterhergegucke, zum Mutter sein), aber was mich am meisten berührt hat, und was ich hier auch mit euch teilen möchte, weil es mich so sehr erinnert hat, warum ich die Arbeit mache, die ich mache, war die folgende Szene:
Die 5 Frauen* unterschiedlicher Größe und Statur, alle gesund, jung, und in meinen Augen wunderschön, stehen auf der Bühne und schauen angewidert ins Publikum.
Die erste fängt an, sich unwirsch über die Oberschenkel zu fahren: "Irrrgh" kommt aus ihrem verzogener Mund. Aus ihren Augen spricht Abscheu, Scham, Trauer.
Die nächste greift sich in eine Speckfalte am Bauch und zieht daran "whabbleee..." ein zynisches Lachen auf den Lippen, die Augen feucht. Eine nach der anderen, inspiziert so ihren Körper - nichts beleibt unkritisiert: Brüste, Bauch, Po, Gesicht, Haare... Alles scheint widerlich zu sein. Verabscheuenswürdig. Nicht dünn genug, nicht groß genug, nicht zart genug, nicht stark genug. Das Betrachten des eigenen Körpers, hinterlässt nichts als Abscheu und Scham auf den Gesichtern der Frauen*.
Uns - dem Publikum, wird klar: Die sehen nicht uns an. Die sehen sich selbst, in einem imaginärem Spiegel. In diesem Spiegel, sehen sie sich nicht, wie wir sie sehen. Er zeigt ihnen nicht das Blitzen in ihren Augen, die Zartheit ihrer Haut, die Kraft ihrer Muskeln...Er zeigt ihnen nur das Defizit. Das "nie genug."
Mir hat diese Szene Tränen in die Augen getrieben.
Weil ich mich selber so sehr wieder erkannt habe.
Weil ich alle meine Freundinnen schon so genau vor dem Spiegel stehen habe sehen.
Weil ich weiß, wie weh es tut, sich selber so sehr zu hassen.
Weil ich weiß, welche gefährliche Ausmaße dieser Hass annehmen kann.
Es waren Tränen der Trauer, aber fast noch mehr Tränen der Wut.
Scheiße! Wie kann es sein, dass wir so viel Lebenskraft darauf verschwenden, uns über unser Aussehen aufzuregen?
Wieso bin nicht nur ich das? Wieso scheinen sich alle Frauen* im Publikum so einfach in der Performance wieder zu finden? Wieso steht niemensch auf und sagt: "das ist doch voll unrealistisch?"
Nein. Es war nichts Neues. Nichts überraschendes. Jaja, Schönheitsideale, Magermodels, Fotoshop Gesichter in den Medien.... alles ganz ganz schlecht. So sieht doch niemensch wirklich aus. Voll unrealistisch. Wissen wir.
Und trotzdem ist die Scham und die Abscheu immer noch da, wenn ich in den Spiegel schau. Ich erlaub sie mir meistens nicht. Schau halt nicht mehr so lange hin oder schieb die leise gemeine Stimme, die mir sagt, was alles falsch mit mir ist, ganz weit weg. Aber da ist sie und ich kann nur ahnen wie viel Energie sie mir absaugt. Wie viel Selbstbewusstsein sie mir nimmt. Wie sehr sie mir im Weg steht, wenn mir ein geliebter Mensch ein Kompliment macht, das ich nicht mal ansatzweise glauben kann.
Wenn ich auf der Yogamatte stehe, mein Oberkörper nach vorne baumelt und ich meine eigenen Füße auf der Matte stehen sehe, überkommt es mich manchmal:
Dankbarkeit. Wertschätzung.
Ich habe Füße! Die für mich überall hinlaufen. Mit denen ich tanzen kann, rennen, fahrradfahren. Die massiert werden können. 26 Knöchelchen in jedem Fuß, plus Muskeln, Sehnen, Haut und Haaren, die einfach da sind. Für mich zum genießen.
Wenn ich mich dann langsam hochrolle - Wirbel für Wirbel - kommen meine Schienbeine in mein Blickfeld, meine Knie, Oberschenkel, mein Bauch, meine Brust.. Und manchmal, für einen kurzen Moment, kann ich diesen Körper, mit dem ich schon so SO viel gehardert hab, annehmen, ja - lieb haben.
Ich streck die Arme über den Kopf und fühl meinen Atem sich ausdehnen, leg die Hände auf mein Herz und fühle es schlagen. Bumm bumm, bumm bumm..
Für diese kurzen Momente mach ich Yoga. Diese kurzen Momente, in denen die innere Kritikerin kurz leise wird und ich einfach sein darf. Es sind Momente in denen ich Kraft schöpfe.
Diese Momente geben mir die Mut etwas zu tun für eine Welt, in der Szenen, wie die des Forumtheaters total ansurd erhscheinen. Für eine Welt, in der wir uns über unsere Körper freuen können und die Körper, der anderen (egal welchen Geschlechts) mit Respekt und Wertschätzung begegnen. In der sich Teenanger nicht runterhungern und niemensch Angst hat alleine durch dunkle Straßen zu gehen.
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